Schweiz
Abstimmungen 2022

Abstimmung: Wie die Bundesratsmitglieder wirklich zur Organspende stehen

Wie unsere sieben Bundesratsmitglieder wirklich zur Organspende stehen

Die Vorlage über die Einführung der erweiterten Widerspruchslösung hat mehr mit persönlich-ethischen Überlegungen denn mit politischer Orientierung zu tun. Die aufgelösten Fronten zeigen sich besonders gut am Beispiel des Bundesrates.
22.04.2022, 21:51
Chiara Stäheli / ch media
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Sie ist kaum politischer, sondern viel eher persönlicher Natur: die Abstimmung vom 15. Mai über die erweiterte Widerspruchslösung bei der Organspende. Eine Haltung zur Vorlage bildet sich in den meisten Fällen unabhängig von der politischen Orientierung, persönliche Betroffenheit spielt dagegen eine grosse Rolle. Die Fronten verlaufen für einmal nicht entlang der Parteigrenzen.

organspende
Am 15. Mai 2022 stimmt die Schweiz über die Organspende ab.Bild: shutterstock

Das zeigt sich nirgendwo besser als am Beispiel des Bundesrats. Zwar vertritt die Regierung im Abstimmungskampf den Willen des Parlaments – in diesem Fall also die Annahme der Vorlage. Doch wie Recherchen zeigen, sind sich die Bundesrätinnen und Bundesräte auf persönlicher Ebene alles andere als einig. Selbst innerhalb der Parteien tun sich in dieser Frage Gräben auf.

Transplantationsgesetz: Darüber stimmen wir ab
Am 15. Mai stimmt die Schweizer Bevölkerung über die sogenannte «erweiterte Widerspruchslösung» ab. Wer nach seinem Tod keine Organe spenden möchte, soll dies zeitlebens festhalten müssen. Ist kein Entscheid festgehalten, entscheiden die Angehörigen. Sie haben dabei den mutmasslichen Willen des Verstorbenen zu berücksichtigen.
Aktuell gilt in der Schweiz die Zustimmungslösung: Einer verstorbenen Person dürfen heute nur dann Organe, Gewebe oder Zellen entnommen werden, wenn sie einer solchen zeitlebens zugestimmt hat und dieser Wunsch festgehalten ist. Wenn der Wille der Person nicht bekannt ist, müssen die engsten Angehörigen entscheiden, ob eine Organspende in Frage kommt oder nicht.

Alain Berset:

Einer, der sich nicht nur Kraft seines Amtes für die Gesetzesänderung einsetzt, ist SP-Bundesrat Alain Berset. Es war vor rund drei Jahren seine Idee, dem Parlament anstelle der Initiative einen indirekten Gegenvorschlag vorzulegen.

Bundesrat Alain Berset spricht waehrend einer Medienkonferenz ueber die neusten Entscheide des Bundesrates zur Coronavirus-Pandemie, am Mittwoch, 30. Maerz 2022, im Medienzentrum Bundeshaus in Bern. ( ...
Bundesrat Alain Berset.Bild: keystone

Er hat sich bereits in der Vergangenheit für die Widerspruchslösung eingesetzt und vertritt seine Haltung aktuell als Gesundheitsminister in der Öffentlichkeit, wenn er für die Einführung der erweiterten Widerspruchslösung wirbt.

Viola Amherd:

Mit grosser Wahrscheinlichkeit hat im Bundesrat auch Mitte-Vertreterin Viola Amherd die Gesetzesänderung mitgetragen. Die Verteidigungsministerin reichte bereits 2008 – damals noch als Nationalrätin der CVP – ein entsprechendes Postulat ein.

Bundesraetin Viola Amherd spricht waehrend einer Medienkonferenz des Bundesrates zur Gesamtkonzeption Cyber der Armee, am Mittwoch, 13. April 2022, in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Bundesrätin Viola Amherd.Bild: keystone

Dieses beauftragte den Bundesrat, einen Bericht zu den gesetzlichen Modellen der Organspende und im Speziellen zum Widerspruchsmodell zu erstellen. Auch bei der Debatte zur Teilrevision des Transplantationsgesetzes im Jahr 2013 hat Amherd einen Minderheitsantrag unterstützt, mit welchem die Einführung der Widerspruchslösung gefordert wurde. Dieser blieb damals chancenlos.

Guy Parmelin:

Auch SVP-Bundesrat Guy Parmelin dürfte die Vorlage im Bundesrat wohl angenommen haben. Er hat 2010 ein Postulat des damaligen FDP-Nationalrats Laurent Favre mitunterzeichnet, mit dem der Bundesrat angehalten wurde, den Wechsel von der Zustimmungs- zur Widerspruchslösung zu evaluieren.

Bundesrat Guy Parmelin spricht waehrend einer Medienkonferenz des Bundesrates zur Uebernahme weiterer EU-Sanktionen gegen Russland und Belarus, am Mittwoch, 13. April 2022, in Bern. (KEYSTONE/Peter Kl ...
Bundesrat Guy Parmelin.Bild: keystone

Zwei Jahre später unterstützte er eine Motion, die den Wechsel zur Widerspruchslösung forderte, allerdings keine Mehrheit fand.

Ignazio Cassis:

Aussenminister und Bundespräsident Ignazio Cassis steht der erweiterten Widerspruchslösung grundsätzlich positiv gegenüber. Der ausgebildete Arzt setzte sich bereits 2015 als Nationalrat für die Widerspruchslösung ein. Seine Meinung dürfte er kaum geändert haben.

Switzerland's President and head of the Federal Department of Foreign Affairs Ignazio Cassis, speaks during a press briefing at the Uni Dufour University of Geneva, during an official visit of pr ...
Bundespräsident Ignazio Cassis.Bild: keystone

Simonetta Sommaruga:

Bersets Parteikollegin Simonetta Sommaruga hingegen lehnt die erweiterte Widerspruchslösung ab, wie zuverlässige Quellen vernehmen lassen.

Bundesraetin Simonetta Sommaruga spricht an einer Medienkonferenz zu einem Schutzschirm fuer systemkritische Schweizer Stromunternehmen, am Donnerstag, 14. April 2022, in Bern. Energieministerin Somma ...
Bundesrätin Simonetta Sommaruga.Bild: keystone

Diese Haltung bestätigt auch ein Blick zurück: Als Ständerätin setzte sich Sommaruga im Sommer 2004 bei der Beratung des Transplantationsgesetzes dafür ein, dass sich der «Gesetzgeber zurückhält». Es sei «nicht Sache des Staates, darüber zu urteilen, wie der Entscheid des Einzelnen ausfallen soll».

Karin Keller-Sutter:

Auch Karin Keller-Sutter äusserte sich in der Vergangenheit bereits mehrfach kritisch gegenüber der Widerspruchslösung.

Bundesraetin Karin Keller-Sutter spricht an einer Medienkonferenz ueber die Ukraine Krise : Aufnahme von gefluechteten Personen, am Freitag, 11. Maerz 2022, im Medienzentrum Bundeshaus in Bern. (KEYST ...
Bundesrätin Karin Keller-Sutter.Bild: keystone

Die FDP-Bundesrätin hat zu ihrer Zeit als Ständerätin in der Wintersession 2013 ethische Bedenken angebracht: «Von einer stillschweigenden Zustimmung auszugehen, ist für mich in einer ethisch derart heiklen Frage schwierig», so Keller-Sutter in der Debatte zur Teilrevision des Transplantationsgesetzes.

Auch scheine ihr die Widerspruchslösung vor dem Hintergrund der Persönlichkeitsrechte problematisch zu sein.

Ueli Maurer:

Bleibt noch Ueli Maurer. Zu seiner Haltung sind lediglich Vermutungen möglich. Bisher hat sich der Zürcher nirgends öffentlich zum Thema geäussert.

Bundesrat Ueli Maurer spricht ueber die Frontex-Verordnung, an der Delegiertenversammlung der SVP Schweiz, am Samstag, 9. April 2022, in der Stadthalle in Chur. (KEYSTONE/Gian Ehrenzeller)
Bundesrat Ueli Maurer.Bild: keystone

Der SVP-Politiker und Finanzminister dürfte die Vorlage allerdings abgelehnt haben. Von Seiten seines Departements wird das weder bestätigt noch negiert: Die Beratungen des Bundesrates seien vertraulich, deshalb könne man dazu keine Aussagen machen. (aargauerzeitung.ch)

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Statistiken zu Transplantationen in der Schweiz
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In sämtliche Statistiken sind die Kinder eingerechnet.
quelle: swisstransplant / swisstransplant
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59 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Drachenherz
23.04.2022 01:42registriert Juni 2019
Sorry. Nach meiner Meinung geht es hier nicht explizit um Organspende. Sondern darum, dass automatisch ein Ja zählt. Ich muss also „zwingend“ Nein deklarieren.
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Medical Device
22.04.2022 22:58registriert Januar 2021
Das ist eine ethisch moralische Frage die jeder selber beantworten muss und nicht Sache des Staates.
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Ehringer
22.04.2022 22:59registriert Februar 2015
So geht es mir auch: Politisch motiviert ist mein Nein nicht, vielmehr persönlich/ethisch, obwohl ich seit Jahren als Organspender registriert bin. Der Staat soll aber keine Grundannahme über meinen Körper treffen, auch nicht dann, wenn dieser bereits tot ist. In meinen Augen die konsequente Erweiterung von "my body, my choice".

Ich hätte persönlich eine "Äusserungslösung" befürwortet. Alle volljährigen Bürger*innen MÜSSTEN sich äussern (von mir aus mit Busse, wenn das nicht passiert), was sie wollen. So würde keine Grundannahme getroffen und trotzdem der Wille aller Bürger*innen registriert.
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